Definitionen

Die nachstehenden Definitionen wurden von allen Teilnehmern der einzelnen Treffen zur Frühgeschichte der Ungarn (40-80 Fach¬leute) formuliert und in Beschluss gefasst, dieser wurde dann von den Teilnehmern des folgenden Treffens – manchmal mit kleineren Berichtigungen – bestätigt. Diese Texte gelten also als Ergebnis einer gemeinsamen Vereinbarung, die von unserer Arbeitsgruppe „Frühgeschichte“ in 2005 und 2006 überprüft und nach kleineren Korrekturen neue bestätigt wurden.

1. Die Frühgeschichte der Ungarn

Unter dem Begriff ,,Frühgeschichte der Ungarn“ verstehen wir die Entstehungsgeschichte des Ungarntums – die Geschichte unserer äußeren Erscheinung (Anthropologie) unserer Gesellschaft, Kultur und Sprache – von frühester Zeit bis zur Christianisierung, wobei wir die Untersuchung auch auf die nachfolgende Zeit bis zum angenommenen Aussterben der Könige im Mannesstamm aus dem Hause von Árpád (1301) ausweiten.
Unser Ziel ist eine wahrheitsgetreue ungarische Geschichtsschreibung, die durch eine kritische Auseinandersetzung mit sämtlichen vorliegenden Forschungsergebnissen erreicht werden und die der ungarischen Gegenwart und Zukunft dienen soll.
Da die Erforschung der Frühgeschichte der Ungarn auf eine komplexe Art erfolgen soll, ist die Auswertung historischer Quellen und eine enge Zusammenarbeit der verschiedenen Zweige der Wissenschaft nötig. Unerlässlich dabei ist – da wir es für einen Teil der ungarischen Frühgeschichte betrachten – die Erforschung der Geschichte des Karpaten-Beckens sowie die Geschichte der Völker, von denen bedeutende Teile ins ungarische Ethnikum eingeschmolzen sind; zu diesen zählen die Petschenegen, Kumanen, Usen usw. Man muss sich mit der Geschichte derjenigen Völker beschäftigen, die bereits früher im Karpaten-Becken ansässig waren. Die Frage nach der Herkunft der Székler bedarf auch noch einer gründlichen Klärung.
Sehr wichtig bei der Auseinandersetzung mit der Frühgeschichte der Ungarn ist die Erforschung der Beziehungen zwischen den Ungarn und ihren früheren Nachbarvölkern, wobei das Augenmerk besonders auf die Einflüsse des Chasarenreiches, der Turkvölker, der uralischen und indoeuropäischen Völker gerichtet werden soll. Auch eine gründliche Analyse der Geschichte der Völker südlich von Kaukasus erscheint im Hinblick auf die Ungarn als unerlässlich. Im Laufe der Forschung soll auch die gegenseitige Beeinflussung der umliegenden Völker beachtet werden.

2. Die Urheimat der Ungarn

Als Urheimat bezeichnen wir das Gebiet, in dem sich der Kern und das ,,Gemeinschaftsbewusstsein“ der Ungarn herausgebildet hat.
Die Gebiete, in denen sich die Vorfahren der Ungaren zeitweilig niedergelassen hatten, dürfen nicht mit ihrer Urheimat verwechselt werden.
Bisher wurden in den wissenschaftlichen Diskussionen über die Urheimat der Ungarn die unterschiedlichsten Theorien vertreten, was mit einer unzureichender Definition des Begriffes ,,Verwandtschaft“ (ethnische Verwandtschaft, Sprachverwandtschaft usw.) eng zusammenhängt. Eine wesentliche Rolle spielte dabei der Umstand, dass sich die Ungaren aus mehreren ethnischen Gruppen formierten, wobei die vielen ethnischen Gruppen gegenüber dem Kern keine primäre Rolle bei der Herausbildung des Ungarntums gespielt hatten.

3. Die Vorfahren und die Verwandten der Ungarn

Wir betrachten als Vorfahren der Ungarn diejenigen Ahnen, von denen die Ungarn anthropologisch abstammen (Blutsverwandtschaft).
Die Frage nach der Verwandtschaft – besonders nach der ethnischen Verwandtschaft – gehört zu den kompliziertesten Themen der ungarischen Frühgeschichte. Obwohl die Klärung der Sprachverwandtschaft von äußerster Wichtigkeit ist, muss die Tatsache einer genetischen oder auch einer kulturellen Verwandtschaft immer vor Augen gehalten werden. Von mehreren bisher verwandt gehaltenen Sprachen hat sich z.B. herausgestellt, dass es sich eigentlich nur um ehemalige ,"Sprachverbände" gehandelt hat.
Einzelne herausgegriffene Aspekte oder Merkmale können zwar als Anzeichen einer Verwandtschaft aufgefasst werden, dürfen aber nicht als ausschlaggebende Determinanten bezeichnet werden.

4. Unsere Landnahme

Unter unserer Landnahme verstehen wir eine geschichtliche Ereignisfolge, die schließlich zu dem Ergebnis führte, dass die Ungarn unter Álmos und Árpád und jene Völker, die sich ihnen anschlossen, sich im Raum des Karpaten-Beckens niedergelassen haben. Hierzu rechnen wir auch die Ereignisse, die zur Landnahme führten, sowie ihre Konsequenzen.

5. Magyar (Ungarn)

Wir bezeichnen jenes Volk als Ungarn, das um das Jahr 1000 n. Chr. einen einheitlichen christlichen Staat schuf, der sich auf die Gesamtheit des Karpaten-Beckens erstreckt.
Die landnehmende ungarische Bevölkerung war
– bezüglich der äußeren Erscheinung zur Hälfte turanid, pamirisch und vorderasiatisch;
– Trägerin der ungarischen Sprache, die in die Gruppe der agglutinierende Sprachen gehört;
– Schöpferin des Blutbundes, mit dem die schriftlich überlieferte ungarische Rechtsgeschichte beginnt. Dieser Blutbund bestimmte schon vor der Landnahme Álmos zum obersten Führer. Die Rechtsgeschichte findet ihre Fortsetzung durch die Goldene Bulle (1222) und die Lehre von der Heiligen Krone (1351). Die obigen Merkmale sind auch für die heutige ungarische Bevölkerung kennzeichend, wie auch weiters, dass

– sie über ein Nationalbewusstsein verfügt;
– ihre Religion größtenteils der historischen Entwicklung des westeuropäischen lateinischen Christentums folgt. Auf dem Gebiet der Religion ist für diese Bevölkerung eine ausgeprägte Toleranz charakteristisch;
– in ihren heriditären Eigenheiten bewahrt sie die Eigenheiten ihrer Ahnen in hohem Maße; einige von diesen Eigenheiten weichen von jenen ab, die bei anderen beobachtet wurden;
– sie verfügt über eine uralte und charakteristische, materielle sowie geistige Kultur, aus der sich ihre Schrift (Kerbschrift), Volkskultur, Mythologie, sowie Musikmuttersprache, die sich durch Pentatonik und die parallele Konstruktion charakteristisch sind, weiterhin die abfallende Melodie und die unbetonte Endung.

6. Unsere Streifzüge

Unter unseren Streifzügen verstehen wir jene Feldzüge, die unsere Ahnen um die Zeit unserer letzten Landnahme außerhalb des Karpaten-Beckens unternommen haben. An diesen Feldzügen beteiligten sich nach unseren heutigen Kenntnissen auch die anderen damaligen Bewohner des Karpaten-Beckens (Avaren, Sclaven usw.).
Diese Feldzüge werden von den zeitgenössischen, ausländischen schriftlichen Quellen, die uns zur Verfügung stehen, als Raubzüge bezeichnet. Hingegen kann durch eine sachlich geführte Analyse nachgewiesen werden, dass diese Feldzüge meistens in jener Zeit nichts anderes als gewöhnliche Ergänzungen der ungarischen Diplomatie waren.
Diese Feldzüge dienten der Einsetzung oder Vernichtung der Kräfte des tatsächlichen oder angenommenen Feindes, fast ausschließlich in einem Bündnis mit anderen Mächten, sowie Staatsgebilden. Diese Art unserer Feldzüge wurde infolge der Verschiebung der europäischen Kräfteverhältnisse (Bildung eines einheitlichen Kaiserreiches deutscher Nation usw.) und der inneren Befestigung des ungarischen Staates eingestellt.

7. Unsere Staatsgründung

Die Ungarn sind unter den ersten, die auf dem Gebiet von Europa einen einheitlichen und christlichen Staat gründeten, der auf dem Gebiet seiner Gründung (vor mehr als tausend Jahren) bis heute ununterbrochen besteht.
Zwecks Führung eines Staates wurde von den Ungarn das eingeführt und aufrechterhalten, was heute als Parlamentarismus genannt wird. Als wichtigste Geschehnisse unserer Staatsgründung betrachten wir:
– die Herausgestaltung unseres Rechtssystems, das mit dem Blutbund beginnt und mit der Praxis des lateinischen Christentums in Einklang gebracht wurde;
– der Zug des Volkes von Álmos bzw. Árpád in das Karpaten-Becken;
– die vollständige Besetzung des Karpaten-Beckens durch die Ungarn von Álmos bzw. Árpád – und durch die den Ungarn angeschlossenen Völker;
– die kriegerische und die diplomatische Aktivität nach der Landnahme;
– die Annahme des Christentums und die Organisation der Institutionen unseres Staates, sowie eines Königreichs, im Zuge derer auch einige Elemente des Feudalismus in unserem Lande ihre Wurzeln schlugen.